Porträt Konstantin Wecker.

Unerträglich verlogen


Konstantin Wecker schreibt auf seiner Internetseite, wir dokumentieren:


Lie­be Freun­de,

Kanz­le­rin An­ge­la Mer­kel hat Prä­si­dent Wla­di­mir Pu­tin vor­ge­wor­fen, mit der »un­ak­zep­ta­blen rus­si­schen In­ter­ven­ti­on auf der Krim ge­gen das Völ­ker­recht ver­sto­ßen zu ha­ben«. Recht so, Frau Mer­kel.


US-Prä­si­dent Ba­rack Oba­ma un­ter­strich in ei­nem Te­le­fo­nat mit der Kanz­le­rin, dass die rus­si­schen In­ter­ven­ti­on in der Ukrai­ne »ab­so­lut un­recht­mä­ßig« sei, hieß es am Sonn­tag­abend aus US-Re­gie­rungs­krei­sen. Zu­vor hat­te be­reits US-Au­ßen­mi­nis­ter John Ker­ry Russ­land vor­ge­wor­fen, ge­gen das Völ­ker­recht zu ver­sto­ßen. Rich­tig, Mis­ter Pre­si­dent und Mis­ter Ker­ry.


Mir schnür­te es das Herz zu, als ich sah, wie die we­ni­gen mu­ti­gen Pa­zi­fis­ten in Russ­land bei ih­rer De­mons­tra­ti­on für den Frie­den ver­haf­tet wur­den und ver­mut­lich für lan­ge weg­ge­sperrt. Was ich zum Kot­zen fin­de, Frau Bun­des­kanz­ler, ist, dass Sie al­le Ver­stö­ße der USA oder der NA­TO ge­gen das Völ­ker­recht an­schei­nend völ­lig in Ord­nung fin­den. Ich ha­be kei­nen auch nur ir­gend­wie ähn­lich ge­ar­te­ten Vor­wurf in die­ser Rich­tung von ih­nen ge­hört. Oder ha­be ich nicht gut ge­nug hin­ge­hört? Ha­ben Sie es viel­leicht vor sich hin ge­nu­schelt ir­gend­wann?


Mit ih­rem Krieg ge­gen Ju­go­sla­wi­en oh­ne UN-Man­dat ha­ben die NA­TO-Staa­ten das Völ­ker­recht ge­bro­chen und da­bei die Öf­fent­lich­keit ma­ni­pu­liert. Und das ist nur ein Bei­spiel von vie­len. Der Mi­li­tär­schlag der Ver­ei­nig­ten Staa­ten und ih­rer Ver­bün­de­ten ge­gen das Re­gime von Sad­dam Hus­sein gilt bei vie­len deut­schen Völ­ker­rechts­ex­per­ten für un­zu­läs­sig. Ich kann mich nicht er­in­nern, dass Sie Mis­ter Bush für die­sen un­ge­heu­er­li­chen Krieg je­mals ge­ma­ß­re­gelt hät­ten, Frau Bun­des­kanz­le­rin.


Mis­ter Oba­ma, auch wenn ich lan­ge gro­ße Sym­pa­thi­en für Sie emp­fand, wer mit Droh­nen Tau­sen­de von Ver­däch­ti­gen und Zi­vi­lis­ten als Kol­la­te­ral­scha­den oh­ne Ge­richts­ver­hand­lung er­mor­det, hat mei­ner An­sicht nach je­de Be­rech­ti­gung ver­lo­ren, an­de­ren Staats­prä­si­den­ten Be­leh­run­gen über in­ter­na­tio­na­les Recht zu er­tei­len.


Es ist wahr, es müs­sen nun al­le di­plo­ma­ti­schen Ver­su­che un­ter­nom­men wer­den, ei­nen Krieg zu ver­hin­dern. Ich bin und blei­be Pa­zi­fist, und kei­ner soll mir je un­ter­stel­len, ich hät­te Sym­pa­thi­en für das Sys­tem Pu­tin.


Aber ich kann die­se Ver­lo­gen­heit nicht mehr er­tra­gen.


Glaubt ihr, Frau Mer­kel hät­te sich nur ei­ne Se­kun­de aus dem Fens­ter ge­lehnt, wenn die Ver­ei­nig­ten Staa­ten von Ame­ri­ka sich das Recht her­aus­ge­nom­men hät­ten, in wel­chem Land auch im­mer das Mi­li­tär zum Schutz ame­ri­ka­ni­scher Bür­ger ein­zu­set­zen?


Ge­nau­so lau­tet die Recht­fer­ti­gung Pu­tins für sei­nen Auf­marsch.


Vie­le mei­ner Freun­dIn­nen sind bei ih­ren Ver­su­chen, ge­gen die völ­ker­rechts­wid­ri­gen Krie­ge der NA­TO und der USA zu de­mons­trie­ren, ähn­lich mar­tia­lisch ver­haf­tet wor­den, wie die Frie­dens­freun­de in Russ­land. Das mo­ra­li­sche Auf­heu­len un­se­rer Po­li­ti­ker ge­gen Russ­land ist Heu­che­lei. Ich emp­fin­de So­li­da­ri­tät mit den Pa­zi­fis­tIn­nen in der Ukrai­ne, in Russ­land, in den USA und in Eu­ro­pa. So­li­da­risch mit un­se­ren po­li­ti­schen Füh­rern kann ich nicht sein.



Konstantin Wecker
03.03.2014
Quelle: wecker.de