Umweltkatastrophen

Brennende Tanklager in Kuwait, im Vordergrund Soldaten.

Die BP-Katastrophe steht mitnichten alleine da: In Italien verseuchte ein Chemieunfall eine ganze Region, in Indien war eine halbe Million Menschen von der größten Chemiekatastrophe der Geschichte betroffen. Auch Österreich schrammte 1997 knapp an einem Super-GAU vorbei.

Die BP-Katastrophe vor der Küste Floridas zeigt auf drastische Weise, wie trügerisch der Glaube an die technische Machbarkeit ist, gerade bei extrem riskanten Unterfangen wie der Offshore-Ölförderung in großer Tiefe. Denn selbst strenge Sicherheitsauflagen können menschliche Schlamperei oder bewusstes Übergehen der Bestimmungen nicht hintanhalten. Wenn zusätzlich auch noch aus Kostengründen bei der Sicherheit gespart wird, muss es früher oder später knallen. Denn laut Vorschriften dürfte es (zumindest in Industrieländern) keine Öko-Katastrophen geben.

Der Risikoforscher André Gazsó vom Institut für Technikfolgen-Abschätzung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften sieht im viel intensiveren Eingreifen in die Naturkreisläufe eine der Hauptursachen für die zunehmende Zahl an Umweltkatastrophen. Sowohl Eingriffstiefe als auch Komplexität hätten in den vergangenen Dekaden stark zugenommen. Als Beispiel nennt er die Ölindustrie, diese habe in den 1930er-Jahren gerade on-shore mehrere hundert Meter tief gebohrt. Heute werde dagegen off-shore und aus einer Tiefe von mehreren Kilometern gefördert. Das mache viel komplexere Abläufe und technische Systeme nötig, die wiederum fehleranfälliger seien. Laut Gazsó wachsen die Bereiche der vom Menschen und von der Natur verursachten Öko-Katastrophen zusehends zusammen und werden als immer bedrohlicher wahrgenommen, weil sich die Gesellschaft an ein immer höheres Sicherheitsniveau gewöhne und sehr schwer mit Restrisiko umgehen könne. Dies gelte viel stärker für Industrieländer als für die Dritte Welt, wo das Leben generell unsicherer sei.

Katastrophen in Echtzeit

Einen großen Unterschied zu früheren Jahrhunderten ortet Gazsó darin, dass Katastrophen dank der Massenmedien nicht nur sehr nahe seien, sondern auch in Echtzeit stattfänden. Das mache aber zugleich anfällig für Desinformation. Ein weiteres Phänomen sei, dass wider besseren Wissens oder aus Unkenntnis mehr Industrieanlagen in Gebiete gestellt würden, die stärker anfällig für Naturereignisse seien. Drittens werde die Infrastruktur in Industrieländern permanent komplexer und damit störungsanfälliger: „Komplexe Systeme können sehr lange Störungen kompensieren, bis der Punkt erreicht ist, wo sie plötzlich und komplett ausfallen“, so Gazsó. Das sei mit einem epileptischen Anfall zu vergleichen. Die Zunahme von Störfällen gerade in weniger entwickelten Ländern sei auf ein regelrechtes Risiko-Outsourcing zurückzuführen: „Unternehmen neigen dazu, dort hinzugehen, wo die Sicherheitsvorschriften weniger kosten“, erklärt der Experte. So könne man in den USA beobachten, dass Müllverbrennungsanlagen dort hingebaut werden, wo die Menschen am ärmsten sind.

Schlamperei und Versagen

Auslöser von Katastrophen sei Dummheit, aber auch vorschriftswidriges Verhalten. „Meistens ist es eine Mischung von Schlamperei und Unwissenheit. Ein klassisches Beispiel ist der Reaktorbrand im AKW Brownsferry in den USA 1975. Dort hat ein Elektriker bei der Kontrolle der Verkabelung zur Beleuchtung statt einer Taschenlampe ein Feuerzeug in die Hand genommen.“ Der Kabelbrand hätte fast zum Durchgehen des Reaktors geführt. Dummheit kann sehr kostspielig werden. Im Vorjahr kosteten durch Menschen verursachte Störfälle die Versicherer global vier Milliarden Dollar, Naturkatastrophen gar 22 Milliarden Dollar, so der Branchenprimus Swiss Re. Davon sei 2009 ein Viertel auf den Energiebereich entfallen, konkret die Kollision eines Schiffes mit einer Plattform in der Nordsee und ein Blowout bei einer Ölplattform in der Timor-See (Indonesien). Ein weiteres Menetekel für die Ölkatastrophe von BP steht in den Geschichtsbüchern: Im Juni 1979 kam es – ebenfalls im Golf von Mexiko – auf der Plattform Ixtoc der mexikanischen Pemex nach einem technischen Gebrechen zu einem Blowout. Erst nach neun Monaten konnte das Bohrloch wieder versiegelt werden, bis dahin traten 1,4 Millionen Tonnen Öl aus. Auch wenn das wie eine Ausrede klingt: „Für das Eintreten eines so gravierenden Vorfalls muss es schon zu einer Verkettung unglücklicher Umstände kommen, da kommt eine Vielzahl von Faktoren zusammen. Denn es hilft nichts, die besten Geräte der Welt zu haben, wenn das Personal nicht geschult ist, genau so wie bestausgebildete Mitarbeiter nicht unsichere Systeme kompensieren können“, so Richard Manson von Allianz Global Corporate & Specialty. Die Deutschen sitzen gemeinsam mit Branchenpartnern bei Deepwater Horizon im Versicherungsboot, kamen aber mit einem blauen Auge davon, laut Manson betrug der Schaden 560.000 Dollar. Sehr viel teurer dürfte BP andere Rückversicherer kommen. Die Allianz hatte schon einmal offshore in den Gatsch gegriffen, als sie durch den Hurrikan Katrina hohe Schäden erlitt. Daraufhin wurde diese Sparte massiv heruntergefahren.

Versicherer erhöhen Prämien

Während die Umwelt im Fall BP noch lange leiden wird, weiß die Versicherungsbranche schon jetzt, dass die Prämien für Ölbohrfirmen signifikant höher werden. Tücke bei Umweltdesastern: Sie sind recht selten, aber wenn, dann wird es richtig schlimm, ob in der Öloder Chemieindustrie oder im Luftverkehr. Angesichts der möglichen gewaltigen Dimensionen will kein Versicherer (selbst Branchengiganten) das Haftungsrisiko alleine tragen. „Wir waren schon vor der BP-Katastrophe bei Ölplattformen sehr wählerisch und haben kein großes Klumpenrisiko auflaufen lassen“, so Manson. Es gebe aber auch Regionen oder Industrien, die zu unsicher seien und daher nicht versichert würden oder nur bis zu einer limitierten Deckungshöhe. Und bevor ein Vertrag geschlossen wird, muss der potentielle Kunde einen Security-Striptease hinlegen „Wir wollen konkrete Sicherheitsvorkehrungen und Krisenpläne sehen, es geht uns um Fakten und nicht um Marketingaussagen“, so Manson. Laut Michael Proschek-Hauptmann, Geschäftsführer vom Umweltdachverband, hat die Industrie aus bisherigen Katastrophen nichts gelernt, auch wenn sich Rechtsbestand und Wissensstand markant verbessert hätten. „Aber wenn die Kontrolle nicht funktioniert, sind auch die besten Sicherheitsstandards wertlos.“ Diese These wird immer wieder belegt: So explodierte im November 2001 eine Chemiefabrik im französischen Toulouse, verantwortlich dafür war die Detonation von gelagertem Ammoniumnitrat. 29 Menschen kamen ums Leben. Ursache der Katastrophe war laut Staatsanwaltschaft die ungenügende Wartung der Anlage, bestehende Auflagen wurden also ignoriert. Proschek-Hauptmann will dennoch glauben, dass BP zum Weckruf wird, dass man vom Gedanken der technischen Machbarkeit zum Vorsorgeprinzip umschwenken müsse.

Schaden durch Lobbying

Heftige Kritik übt dagegen Greenpeace: „Sicherheit darf nicht zu viel kosten, entweder versucht die Wirtschaft drohende Verschärfungen durch Lobbying zu verändern oder sie arbeitet schlampig und tut so, als ob sie alles im Griff hat“, sagt Greenpeace-Experte Jurrien Westerhof. Aber gerade durch Schlamperei steige die Störfall-Wahrscheinlichkeit um ein paar Potenzen. Trotzdem lautet Westerhofs Resümee: Es passiert überraschend wenig. Und einen schwachen Lerneffekt hätten Katastrophen auch: Anstelle der normalen Reaktion, nämlich die Schuld (fast) ausschließlich auf die anderen zu schieben, habe BP sie selbst übernommen. Das sei immerhin schon ein Schritt vorwärts. Man könne die Risiken im Bereich Gewinnung und Transport von Rohstoffen aber nicht über einen Kamm scheren. „Landet ein Güterwagen mit Salz in einem Fluss, ist das Pech für die Fische, aber der Fluss hat sich nach einem Monat erholt. Passiert das gleiche mit Chlorgas, schaut die Situation gleich ganz anders aus“, so Westerhof. Größtes Manko liege bei der Überwachung und Überprüfung von Anlagen und deren Sicherheitssystemen. Unternehmen hätten große Anreize, Kontrolleure freundlich zu stimmen, mit einem gleitenden Übergang zu Korruption. Zugleich ortet Westerhof den Trend, auf kleinere Gefahren mit einer Überregulierung zu reagieren. „Tiefhängende Früchte sind leicht zu pflücken.“ Dabei verliere man aber die wirklichen und drängenden Gefahren aus den Augen.

Beinahe-GAU in Österreich

Nebenbei: 1997 ist auch Österreich an einer Katastrophe vorbeigeschrammt. Auf der Wiener Außenringautobahn geriet bei Hochstraß ein Tankwagen mit 21 Tonnen Isobutyraldehyd – einem hochexplosiven und giftigen Stoff – in Brand. Die Autobahn wurde gesperrt und die Bewohner angrenzender Orte aufgerufen, Fenster geschlossen zu halten und nicht ins Freie zu gehen. Erst nach 19 Stunden wurde die Autobahn wieder freigegeben. Zum Glück einzige Folge: Der Verkehr brach im Großteil Wiens zusammen. Nebenbei: 1997 ist auch Österreich an In anderen Fällen war Fortuna weni einer Katastrophe vorbeigeschrammt. ger gnädig. Und neben spektakulären Auf der Wiener Außenringautobahn ge- Einzelereignissen, die es in die Medien riet bei Hochstraß ein Tankwagen mit schaffen, gibt es genug Orte, primär in 21 Tonnen Isobutyraldehyd – einem Entwicklungs- und Schwellenländern, hochexplosiven und giftigen Stoff – in in denen massive Umweltzerstörung Brand. Die Autobahn wurde gesperrt tagtäglich schleichend passiert. Dazu und die Bewohner angrenzender Orte zählen die Industriestadt Linfen in Chi aufgerufen, Fenster geschlossen zu hal- na, wo eine ganze Latte toxischer Stoffe ten und nicht ins Freie zu gehen. Erst in die Umwelt gelangt, der Petrochemie-Komplex Sumgayit in Aserbaidschan (organische Chemikalien und Quecksilber), Kabwe in Sambia (Bleiförderung und -verarbeitung) oder Sukinda in Indien (Förderung und Verarbeitung von Chromerz). Wie fahrlässig dort mit Umwelt und Menschen umgegangen wird, bekommt die Weltöffentlichkeit auf CNN nie zu sehen. Deepwater Horizon ist am Ende auch eine Medienkatastrophe.

 

AUTOR: CLEMENS ROSENKRANZ
Quelle: UMWELTSCHUTZ 04 / 2010

 

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